Montag, 6. August 2012

Wenn Broderismus chronisch wird

Heute müssen wir mal ganz tapfer sein. Am Besten erst mal ein Schluck aus der Pulle, denn es wird hart. Heute werfen wir anhand einiger Beispiele einen kleinen Blick in Henryk Broders Œuvre.

Fall 1:
In seiner unsäglichen Welt-Kolumne "Nordeuropa arbeitet - und zahlt für den Süden" vom 3. August 2012 stellt Broder eine beeindruckende Behauptung auf:
"Allein die Dänen haben ihr Sozialsystem gründlich reformiert, nachdem sie gemerkt hatten, dass rund 40 Prozent des nationalen Sozialbudgets an 4 Prozent der Population gehen, die aus Migranten besteht."
Nun wäre es bei solch einem bemerkenswerten Verhältnis schon interessant zu erfahren, wann wer wie in Dänemark diese Verteilung des nationalen Sozialbudgets bemerkt hat. Leider verrät Herr Broder aber kein bisschen mehr als das obige Zitat selbst. Man kann aber zumindest mutmaßen, woher Herr Broder diese Information hat. Und war aufgrund eines kleinen Fehlers darin. Politically Incorrect brachte schon 2009 in einem Beitrag zu den Sozialkosten für Migration in Dänemark auch die Zahlen 4% und 40% - der einzige Unterschied besteht darin, daß die 4% nicht die "Migranten", sondern die "muslimischen Einwanderer" oder "dänischen Muslime" sind. Mit Feinheiten hat man es da aber ja eh' nicht so. Übernommen aber ist der PI-Text von einem englischsprachigen Artikel, den die beiden "Islamkritiker" Daniel Pipes und Lars Hedegaard laut eigener Auskunft schon 2002 für die amerikanische Boulevardzeitung New York Post geschrieben haben. Dort sind es allerdings 5% von Einwanderern aus der Dritten Welt (z.B. der Türkei!), die 40% des Sozialbudgets bekommen würden. Irgendwie sind aus 5% Einwanderer bei der New York Post 4% muslimische Einwanderer bei PI geworden. Vielleicht hat Herr Broder diese Zahl von 4% eben nicht aus der Originalquelle bezogen, sondern über PI. (Übrigens ist bei der New York Post mit den 40% auch nicht das gesamte nationale Sozialbudget gemeint, wie Herr Broder unterstellt, sondern nur die finanzielle Grundsicherung in Dänemark, d.h ohne Ausgaben für Wohnen, Bildung, Transport, etc.).
Spannend ist aber die Quelle, die dort für die Zahlen angeben wird. Die dänische Politikerin Ritt Bjerregaard  hätte ihnen Zahlen aus einer nicht veröffentlichten Studie für das Jahr 1999 mitgeteilt, zu denen die Autoren noch mal mindestens 5% Verbrauch der Sozialleistung aus der hohlen Hand draufgeschlagen haben, um die Zahlen für 2002 "anzupassen". Denn es würde ja bekanntlich alles immer schlimmer. Es haben also nicht, wie Broder behauptet, "die Dänen gemerkt", daß 40% des Sozialbudgets von 4% muslimischer Migranten verbraucht würden, sondern Broders "Islamkritiker"-Kollege Lars Hedegaard hat es behauptet. Und als Quelle gibt er eine Mischung aus nicht näher spezifizierten Zahlen aus einer nicht näher genannten und ohnehin nicht veröffentlichten Studie und eigenes Bauchgefühl an. In Henryk Broders Kolumne taucht diese Zahl dann als Tatsache auf.

Fall 2:
In einem auf der Achse des Guten dokumentierten Textes für die Weltwoche vom 19. Juli 2012 äußert sich Herr Broder zu einem Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bezüglich Sonderabgaben auf Vermögen. Er beginnt mit
"In der Bundesrepublik wird derzeit über eine „Zwangsanleihe“ diskutiert, die von „Vermögenden“ erhoben werden soll. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das größte und älteste seiner Art, hält eine zehnprozentige Abgabe auf Vermögen über 250.000.- Euro für angemessen. Nun kommt es darauf an, wie man „Vermögen“ definiert."
Stimmt.
"Aktien? Bargeld? Immobilien? Nehmen wir mal, es wäre ein Mix aus diesen Anlagen."
Nein, das müssen wir nicht annehmen. Das steht ausdrücklich in der Studie des DIW drin. Es geht um das Nettovermögen, bestehend aus "Immobilienvermögen, Finanzvermögen und Betriebsvermögen abzüglich der Verbindlichkeiten, mit denen diese Vermögenswerte belastet sind." Und damit sind wir beim eigentlichen Problem. Man hätte sich den Vorschlag zumindest mal durchlesen sollen, bevor man sich über ihn empört. Mit seiner ersten Annahme lag Herr Broder zwar noch richtig, aber das Glück verließ ihn schnell:
"Dann würde ein Ehepaar, das in einem kleinen Eigenheim wohnt und 50.000.- Euro Erspartes hat, mit 25.000.- Euro zur Kasse „gebeten“ werden."
Nein, würde es nicht. Und das gleich aus mehreren Gründen nicht. Wie das DIW ausdrücklich ausführt, handelt es sich bei den genannten Geldbeträgen um "Freibeträge". Und das heißt laut Wikipedia: "Im Gegensatz zur Freigrenze müssen bei Überschreitung des Freibetrags nicht die gesamten Einnahmen versteuert werden, sondern nur der den Freibetrag übersteigende Teil der Einnahmen." Broders Ehepaar würde in diesem Fall erst einmal gar nicht zur Kasse gebeten. Und wären statt der 50 000 € auf dem Konto 50 001 €, dann ginge es immer noch nicht um 25 000 € für den Staat, sondern um 10 Cent.
Wie in der Studie außerdem mehrfach erwähnt wird, gilt der angenommene Freibetrag von 250 000 Euro für Einzelpersonen. Für Ehepaare beträgt er dort 500 000 Euro. Für jedes Kind erhöht sich der Freibetrag um weitere 100 000 Euro. Das heißt, wäre das Ehepaar mit dem kleinen 200 000 Euro-Eigenheim kinderlos, dann dürfte es nicht 50 000 €, sondern 300 000 € auf dem Konto haben, bevor es für Zwangsanleihen oder Vermögensabgaben in Betracht käme. Hätte es zwei Kinder, dann kämen zu dem kleinen Eigenheim gar eine halbe Million Euro Barvermögen, bevor zusätzliche Abgaben auf das darüberliegende Vermögen fällig würden. Aber wie gesagt, dazu hätte man den Vorschlag, gegen den man sich wendet, zumindest mal überfliegen müssen. Das pdf mit den Details hätte sich Herr Broder kostenfrei herunterladen können...

Fall 3:
In Broders Welt-Kolumne "Europas Größenwahn führt zu seinem Untergang" vom 9. Juni 2012 schreibt er:
"Da selbst die größten Europa-Fans nicht in der Lage waren, sich einen solchen Namen zu merken, setzte sich eine Kurzfassung durch: "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union". Er umfasste rund 500 Seiten."
Nein, der Vertrag umfaßt genau 153 Seiten, inklusive Deckblatt und leerer Seiten. Also, zumindest, sofern mein Adobe Reader besser zählen kann als Herr Broder.

Fall 4:
Am 16. Mai 2012 schrieb Herr Broder auf der Achse des Guten:
"Jeder Student der Soziologie im zweiten Semester kennt das Prinzip der Normalverteilung, auch Gauß-Glocke bzw. Gaußsche Glockenkurve genannt. Er weiß auch, aus welchen Schichten sich die Gesellschaft zusammensetzt: einer relativ kleinen Oberschicht, die nicht auf Einnahmen aus Erwerbstätigkeit angewiesen ist; einer Mittelschicht, zu der die staats-tragenden Kreise, die kreative Intelligenz und die Dienstleister – Ärzte, Architekten, Anwälte – gehören; der Masse der Arbeiter und Angestellten, auch Arbeitnehmer genannt, die dafür sorgen, dass Autos und Autobahnen gebaut werden, der Müll abgeholt wird und die Züge nach Plan verkehren. Den Bodensatz der Gesellschaft bildet das „Prekariat“, Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer – entgleist und auf Sozialleistungen angewiesen sind."
Und wer von der Normalverteilung, auch Gauß-Glocke bzw. Gaußsche Glockenkurve genannt, nicht nur den Namen, sondern tatsächlich das Prinzip kennt, der weiß auch, daß eine Verteilung gerade dann annähernd einer Normalverteilung folgt, wenn ihr eine Überlagerung vieler (selber beinahe beliebig verteilter) Zufallsentscheidungen zugrunde liegt. Und das ist weder für die finanziellen Verhältnisse der Bevölkerung noch für die zahlenmäßige Verteilung gesellschaftlicher Schichten der Fall. Klingt aber voll clever und nach Durchblick, auf eine "Gauß-Glocke" zu verweisen, Herr Broder...

Lassen wir es damit mal gut sein. Jetzt gibt es zwei Schlußfolgerungen. Entweder ist Herr Broder ein so dumm-ignoranter Schwätzer, daß er es tatsächlich für unnötig hält, sich auch nur im Mindesten mit den Gegenständen seiner Hetztiraden zu beschäftigen. Oder er beschäftigt sich doch damit, hat aber keinerlei Hemmungen, wissentlich falsche Behauptungen in die Welt hinaus zu posaunen, um seine eigene gefühlte Realität auch anderen aufzudrängen. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann ja jeder selbst entscheiden. Nur was von seinen Texten zu halten ist, darüber sollte es keine Uneinigkeit geben können.

Und um jetzt nicht zu angewidert zu schließen und damit das Gefühl, sich die Hände waschen zu müssen, nicht zu stark wird, gönnen wir uns am Ende noch ein bisschen Humor. Denn so schätzt Herr Broder manche seiner Mitmenschen ein. Er sollte es ja wissen:

Broder über Sebastian Engelbrecht : "Nein, es genügt schon, keine Ahnung von nichts aber eine Meinung zu allem zu haben."

Broder über Jürgen Todenhöfer: "Der ist vollkommen schmerzfrei und weiss auch, wie man investigative Fragen stellt, das hat beim Golfspielen gelernt."

Broder über Ruprecht Polenz: "Polenz nimmt es mit der Wahrheit so genau wie der Hauptmann von Köpenick mit der Wahl seiner Anzüge."

Broder über Johannes Ponader: "Eine der schmierigsten und schleimigsten Gestalten im Berliner Politik-Stadl ist der “politische Geschäftsführer” der Piraten-Partei, Johannes Ponader."

3 Kommentare:

  1. Blodel hat schon letztes Jahr seine Rechenkünste demonstriert, indem er der Occupy-Bewegung eine rasante Idee unterbreitete:
    http://fliegende-bretter.blogspot.de/2011/10/brain-farts-17102011.html
    Obwohl seine Arbeit schon seit längerem nicht mehr verfolge (muss ein wenig meinen Blutdruck im Auge behalten), frage ich mich manchmal, ob der sein eigenes Geschreibsel eigentlich ernst nimmt oder ob er sich jedes Mal einen Ast lacht, wenn er seine Honorarschecks einlösen geht....

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    1. Ja, Broder'schen Mist gibt's wirklich zuhauf. Am besten ist er immer, wenn er seine Nazivergleiche bringt - vom Backwarensortiment in Schiphol zur Judendeportation, das Sterbehospiz in Auschwitz als Übergang von der Todesfabrik zur Sterbeboutique, nichts ist da zu gaga. Aber wenn er nicht nur einfach so dummes Gefasel von sich gibt, sondern munter an der Grenze zur Volksverhetzung herumtanzt und dafür von manchen auch noch als seriöser Kritiker gelobt wird, dann kommt's in mir einfach doch hoch...

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  2. Broders Verdienst besteht nicht zuletzt darin, als erster Jude ein dickes Lob einer NPD-Stadträtin im dunkelstdeutschen Chemnitz erhalten zu haben, für sein "Kritik der reinen Toleranz". Bevor ihm diese Peinlichkeit doch noch schaden konnte, brach die Flüchtlingskrise aus und so konnte Broder Persilscheine an Pegida und AfD verteilen und ihnen bescheinigen, keine Nazis zu sein. So fand er endlich nach Jahren des Herumirrens zwischen Herbertstraße und Hebron eine politische Heimat.

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