Montag, 26. August 2013

Lesen aus alten Büchern (1): Der Schnee auf dem wir alle talwärts fahren

Heute will ich endlich mal mit einer kleinen, ebenso losen wie sinnlosen Postserie beginnen, die ich bisher immer aufgeschoben habe. Immer wenn mir irgendwo alte Bücher, vor allem Sach- und Fachbücher, begegnen und sie mir irgendwie skurril erscheinen, kann ich nicht widerstehen und muß sie mit nach Hause nehmen. Inzwischen haben sich schon so einige angehäuft, und in der neuen DWüdW-Reihe "Lesen aus alten Büchern" will ich aus ein paar von ihnen zitieren.
Klingt jetzt ziemlich dröge, wird es aber hoffentlich nicht. Denn auch sehr alte Fachbücher können durchaus noch nützlich sein. Chemiebücher zum Beispiel. Zwar gibt es heute eine unglaublich viel weiter entwickelte Laboranalytik als vor einem Jahrhundert - aber wer hat die schon zu Hause verfügbar? Was also tun, wenn man mal schnell und diskret daheim herausfinden will, ob eine Substanz tatsächlich ist, für was man sie hält? Hier können auch mehr als hundert Jahre alte Bücher weiterhelfen - im Sinne von "Was die Großmutter noch wußte". Und in diesem Sinne lesen wir im ersten Teil der kleinen Serie aus dem Buch
"Kurze Anleitung zur Auffindung der Gifte und stark wirkender Arzneistoffe. Zum Gebrauche in chemischen Laboratorien."
Von Dr. Wilhelm Autenrieth. Zweite Auflage, Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. B. und Leipzig, 1897. Und wir lesen, sagen wir mal, im Kapitel



"Cocaïn. Cocaïn krystallisirt aus Alkohol in grossen, farblosen Prismen, hat einen bitterlichen Geschmack und ruft auf der Zunge eine vorübergehende Gefühllosigkeit hervor. Es ist in Wasser wenig (1 Th. Cocaïn in 700 Th. Wasser), in Alkohol, Aether, Chloroform, Benzol und Essigäther leicht löslich. Cocaïn reagirt stark alkalisch und wird von verdünnten Säuren zu meist krystallisirbaren Salzen leicht gelöst. Aus den Salzlösungen wird die Base durch Alkalien, Ammoniak und Alkalicarbonatlösungen gefällt. - Conc. Schwefelsäure und Salpetersäure lösen Cocaïn ohne Färbung auf. Die wässrigen Lösungen der Cocaïnsalze geben mit den meisten allgemeinen Alkaloïdreagentien Niederschläge. Quecksilberchlorid fällt einen weissen, beim Umschütteln sich zusammenballenden Niederschlag, der in heissem Wasser löslich ist. - Jodlösung bewirkt einen braunen amorphen Niederschlag. - Pikrinsäure fällt gelbes, flockiges Pikrat.
Reactionen auf Cocaïn:
a) Die wässrige, nicht zu verdünnte Lösung eines Cocaïnsalzes giebt mit 1 bis 2 Tropfen Kalilauge eine weisse, milchige Trübung, aus welcher sich zunächst harzige Oeltropfen, später feine, weisse Nadeln von Cocaïn abscheiden. Schmelzpunkt des Cocaïns 98o. - Von dem Aetherrückstande löst man möglichst viel in etwa 2 Tröpfchen verd. Salzsäure auf und übersättigt diese Lösung mit Kalilauge. Diese Reaction ist natürlich für Cocaïn nicht charakteristisch (ausgenommen der Schmelzpunkt, wozu aber ziemlich viel reine Substanz erforderlich ist), da fast alle anderen Alkaloïde unter diesen Umständen gefällt werden.
b) Versetzt man eine conc. wässrige Lösung eines Cocaïnsalzes tropfenweise mit Kaliumpermanganatlösung (1:100), so entsteht ein violett gefärbter, krystallinischer Niederschlag von Cocaïnpermanganat. Zu dieser Reaction löst man nicht zu wenig des Aetherrückstandes in 2 Tröpfchen verd. Salzsäure auf und setzt dann tropfenweise die Permanganatlösung hinzu. - Empfindliche Reaktion auf Cocaïn.
c) Setzt man zu einer Cocaïnsalzlösung einige Tropfen einer 5%igen Chromsäurelösung, so bildet sich bei jedem Tropfen ein Niederschlag, der sich sofort wieder löst. Fügt man dann zu der klaren Lösung etwa 1ccm conc. Salzsäure, so entsteht ein orangegelber, mehr oder weniger krystallinischer Niederschlag von Cocaïnchromat.
d) Nachweis der Benzoylgruppe im Cocaïn. Für diesen Nachweis sind mindestens 0,2 gr Cocaïn erforderlich. - Man digerirt das Cocaïn einige Minuten mit etwa 2 ccm conc. Schwefelsäure auf dem kochenden Wasserbade; fügt man dann nach dem Erkalten unter Abkühlen Wasser hinzu, so erfolgt eine weisse, krystallinische Abscheidung von Benzoësäure, welche nach dem Trocknen durch Sublimation oder bei genügender Menge durch Bestimmung des Schmelzpunktes (120o) weiter nachgewiesen wird. - Man kann auch die Benzoësäure mit Aether ausschütteln; erhitzt man dann den Aetherrückstand mit etwa 1 ccm absoluten Alkohol und der gleichen Menge conc. Schwefelsäure, so tritt der charakteristische Geruch des Benzoësäureäthylesters auf.
e) Zum sicheren Nachweis des Cocaïns hat man auch den physiologischen Versuch auszuführen, welcher darauf beruht, dass die Base eine verübergehende eigenthümliche Gefühllosigkeit hervorruft. Man löst die fragliche Substanz - Aetherrückstand aus der alkalischen Lösung - in einigen Tröpfchen verd. Salzsäure auf, verdampft die Lösung auf dem Wasserbade zur Trockne und bringt den in wenig Wasser aufgenommenen Rückstand auf die Zunge."
Wenn also in diesen schlechten Zeiten die ganze Investmentabteilung der Bank für eine Sammelbestellung zusammenlegen muß um den Kokspreis zu drücken, aber nicht weiß, wie sie die Qualität der Ware checken soll - mit diesen alten Hausfrauentricks sollte es kein Problem mehr sein!

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