Freitag, 15. August 2014

Verletzte Gefühle

Im Cicero findet Petra Sorge den Vorwurf, deutsche Journalisten beteiligten sich an einem Propagandafeldzug, absurd und auch "ein bisschen verletzend". Damit ist sie nicht allein, immer mal wieder erklären Journalisten, daß sie es sich den wiederkehrenden Propagandavorwurf nicht so recht erklären können. (Außer durch den Einsatz russischer Provokateure und die in der Birne nicht so ganz hellen Medienkonsumenten, vielleicht.) Nun könnte man in einen sehr, sehr langen Strom von fragwürdigen Artikeln und Berichten zu aktuellen Konflikten eintauchen, um den Propagandavorwurf zu untermalen. Ich möchte hier aber nur an ein drei kleine Einzelfälle erinnern, die mir selbst als eindrucksvolle Höhepunkte journalistischen Versagens in Erinnerung geblieben sind.

Fangen wir mit einem kurzen Satz des Chefredakteurs der Tagesschau, Kai Gniffke an. Der schrieb am 16. Mai im Tagesschau-Blog:
"Übrigens war die Regierung Janukowitsch unstreitig demokratisch legitimiert."
Dagegen halten wir mal einige Zitate der Off-Sprecherin und der Reporterin Sabine Rau aus der 20-Uhr-Tagesschau vom 1. Februar. Aus der Berichterstattung zur Münchner Sicherheitskonferenz heißt es da:
"Der Oppositionsführer [Klitschko] war in der Nacht aus der Ukraine angereist und er ließ keinen Zweifel, was der von Europa erwartet: Klare Positionierung und Sanktionen gegen das Regime." 
"Am Rande der Konferenz hatte der Ex-Boxweltmeister zahlreiche Gespräche, unter anderem auch mit dem deutschen Außenminister. Dessen Appell an die Adresse des Regimes: […]" 
"Russland zeigt sich bislang entschieden an der Seite des Regimes." 
"Danach werde man sehen, ob Moskau womöglich zu weiteren Maßnahmen greift, um das Regime in Kiew zu stabilisieren."
In einer einzigen Tagesschau-Sendung wurde die "unstreitig demokratisch legitimierte" Regierung in Kiew gleich vier mal ausdrücklich als "Regime" bezeichnet. Hat die Tagesschau das Wort "Regime" hier in irgend einem abstrakten, staatsrechtlichen Sinne verwendet, der mir als Zuschauer nicht so geläufig ist?  Oder hat sie versehentlich einfach nur ein bisschen zu eng mit Steinmeier und Klitschko gekuschelt? Denn ich schließe mich da der Bemerkung aus der Wikipedia an:
"Im allgemeinen Sprachgebrauch findet ‚Regime‘ mit abwertender Konnotation vor allem für nicht demokratisch legitimierte und kontrollierte Herrschaftsformen, etwa Diktaturen oder Putschregierungen, Verwendung."
Bleiben wir noch ein bisschen bei der Tagesschau. In der Sendung vom 3. Mai wird (nach einem immerhin16-minütigen (!) Bericht über die Freilassung von "OSZE-Beobachtern" in der Ostukraine) auch vom Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa mit vielen Toten berichtet. Dort heißt es:
"Bei schweren Ausschreitungen geriet das Gebäude der Gewerkschaften in Brand, mehr als 40 Menschen kamen dabei ums Leben."
Und etwas später:
"Brandursache waren offenbar Molotowcocktails."
Nun war die Brandursache wirklich sehr offenbar Molotowcocktails: Als die Tagesschau ausgestrahlt wurde, gab es bereits Videos von der Brandstiftung im Netz und Fotos über die Agenturen. Ja, die "Euromaidanbewegung" hatte da gar über ihre "unabhängige Informationsquelle" (Eigenbeschreibung) "EuromaidanPR" schon in einem Video auf YouTube Brandopfer vorgezeigt unter dem Titel "Russian Terrorists were burned alive" [1].
Das Gebäude "geriet" also ganz offenbar nicht "in Brand", es wurde angezündet. Und die Menschen "kamen" auch nicht "ums Leben", sondern sie wurden, da die Brandleger offenbar wussten, daß sich Personen im Gebäude aufhalten, ermordet.

Gehen wir jetzt noch mal schnell zum Spiegel 31/2014, der mit dem "Stoppt Putin jetzt!"-Titel. Dort werden die Opfer des Absturzes von Flug MH17 gegen Putin instrumentalisiert. Es heißt dort:
"298 Unschuldige sind hier ermordet worden"
und
"Selbst nach dem Mord an 298 Menschen kam von Putin kein Wort der Distanzierung, der Entschuldigung."
Im selben Text heißt es aber auch:
"Der Abschuss von MH17 mag ein tragisches Versehen gewesen sein. Wer die Rakete abfeuerte, wollte vermutlich kein Verkehrsflugzeug treffen."
[2]
Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie bei einem tragischen Versehen ums Leben gekommen sind, wurden laut Spiegel also "ermordet". Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie ermordet wurden, sind laut Tagesschau "ums Leben gekommen". Und eine "unstreitig demokratisch legitimierte" Regierung ist in der Tagesschau auch mal ein "Regime".

Und damit noch mal zurück zur leicht verletzten Petra Sorge. Diese manipulierte Sprache, diese selbstwidersprüchlichen Aussagen, immer und immer wieder zu Gunsten der "atlantischen" Sichtweise - das ist keine Propaganda? Das sind alles nur einzelne, kleine Versehen, wie sie halt immer mal vorkommen? Gut, nehmen wir an, wir haben es hier tatsächlich nicht mit Propaganda zu tun. Wenn solche Fehler unterlaufen, dann ist allerdings die Mehrheit der Journalisten so komplett unprofessionell und inkompetent und ahnungslos in dem, was sie sagen, daß sie von politischer Berichterstattung lieber die Finger lassen sollte. Und satt dessen besser Discounterprospekte austragen.

Ich hoffe, dieser Vorwurf wirkt weniger verletzend als der mit der Propaganda.


[1] Ich verlinke das Video mal, wenn auch ungern. Ich möchte nachdrücklich darauf hinweisen, daß es nicht für sensible Menschen geeignet ist. Stattdessen empfehle ich lieber diese interessante Zusammenfassung.

[2] Kollege Nömix hatte schon vor einiger Zeit auf diesen merkwürdigen Umstand hingewiesen.

26 Kommentare:

  1. Imaginäre Stellungnahme Kai Gniffkes

    Leider können wir auf die von Ihnen aufgeworfenen Widersprüche inhaltlich nicht näher eingehen, da dadurch der Ö/R Qualitätsjournalismus in nicht hinnehmbarer Weise untergraben würde. Sie müssen uns schon glauben, daß unsere Informationen richtig sind. Dies honorieren wir uns schließlich jedes Jahr qua unzähliger Journalismuspreise.

    Auch sollten Sie Abstand davon nehmen, sich mittels zweifelhafter unjournalistischer Internet-Angebote, die keinen direkten Draht zu Handelnden haben, zu informieren.

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    1. Diese Stellungnahme kommt so passend und authentisch rüber - ist die irgendwo von einer ARD-Seite abgeschrieben? ;)

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  2. heute Morgen beim Brötchen holen, ist mir fast die Kinnlade runter gefallen...

    DLF von heute 07:37 Information und Musik / Interview mit Alan Kramer (bin leider zu blöd zum richtigen verlinken) - so circa ab Minute 2

    - Vielleicht auch eine passende Erklärung dafür wieso das in der freiheitlichen BRD so schnell und "gut" mit der Gleichschaltung der Medien funktioniert...

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    1. Den Link dazu reichte ich mal gerne nach.
      Je mehr Reportagen zum Ersten Weltkrieg man in letzter Zeit hört, desto mehr packt einen das kalte Grausen angesichts der Parallelen zur Gegenwart...

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  3. Ein Regime wird aber eben nur "vor allem" für nicht demokratische legitimierte Regierungen verwendet. Menschen die bei einem Brandanschlag "ums Leben kommen" wie auch Menschen die in einem abgeschossenen Flugzeug sterben, gelten wohl beide nicht als "ermordet" wenn man es ganz so eng betrachtet. Es lässt sich sicher darüber streiten welche Wortwahl wann, wo und warum verwendet wird, die Argumente im Artikel sind in jedem Fall reichlich dünn. Das heißt mit Sicherheit nicht, dass unsere Medien immer (oder auch nur meistens) objektiv berichten, aber das reicht weder als Propaganda noch für diesen komischen Vorwurf, dass alle beteiligten Journalisten ihren Beruf verfehlt haben. Das "Kompliment" müsste man dann nämlich konsequenterweise dem Blogger sinngemäß zurückgeben.

    Die Journalisten wollen nicht anecken, das ist das was alle als Propaganda und Gleichschaltung werten. Sie sind trotz oft fehlender Sensibilität für die Menschen über die sie berichten und für andere Meinungen, dennoch selbst Menschen die sich einfach von der allgemein herrschenden Meinung anstecken lassen. Und mal ganz ehrlich, dazu braucht es keine Verschwörung oder Propagandakampagne.

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    1. Journalisten, die nicht anecken wollen, haben nicht den Beruf verfehlt, nein?

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    2. Mir ist in der deutschen Presse kein einziger Artikel bekannt, in dem von der Regimeführerin Angela Merkel oder vom Regime um Obama die Rede ist. Kommt ja vielleicht noch.

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    3. "Menschen die bei einem Brandanschlag "ums Leben kommen" wie auch Menschen die in einem abgeschossenen Flugzeug sterben, gelten wohl beide nicht als "ermordet" wenn man es ganz so eng betrachtet."

      Die Fälle sind spiegelbildlich zueinander, weil einmal eine Intention unterdrückt wird (das Anzünden) und das andere mal eine nicht vorhandene konstruiert wird (Abschuss eines Zivilflugzeugs).

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    4. Es wird ja auch gar nicht behauptet, dass hier gelogen wird. Es wird nur angemerkt, dass die Wortwahl tendenziös ist und seltsamer Weise immer genau in die gleiche Richtung...für die "Guten" aus dem Westen und gegen die "Bösen" aus dem Osten.

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  4. "Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie bei einem tragischen Versehen ums Leben gekommen sind, wurden laut Spiegel also "ermordet"."

    Wenn das Versehen darin besteht, daß man das falsche Flugzeug abschießt, aber nicht im Abschuß selber, dann ist das (in meinen Laienaugen) Mord, ja.
    Derjenige, der das Flugzeug abschoß, nahm den Tod der Insassen ja bewußt in Kauf. Es war ja nur "die falsche Art" von Flugzeug (Passagiermaschine statt Militärflugzeug).

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    1. Soldaten sind Mörder ist eine zulässige Meinung. aber gewöhnlich findet Kriegsberichterstattung nicht auf Grundlage dieser Diktion statt.

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  5. Auch demokratische Regierungen können als Regime bezeichnet werden. Die einzige Anforderung besteht darin in irgend einer Form gewalttätig zu unterdrücken. Eine Bezeichnung als Regime ist somit zwar definitiv wertend, aber nicht zwingend sachlich Falsch.
    Das das abbrennen des Gewerkschaftshauses in den hiesigen Medien klein geredet wurde sehe ich allerdings auch so.
    Den Abschuss der Passagiermaschine als Mord zu bezeichnen ist falsch sofern man die juristische Definition des Wortes nimmt. Aber umgangssprachlich ist es völlig legitim. Gerade von der linken Seite wird jeder Kollateralschaden den die USA bei ihren Kriegen verursachen immer als Mord bezeichnet. Hier jetzt anders zu reagieren scheint mir sehr heuchlerisch.

    Journalisten haben nun einmal Meinungen und dürfen diese Vertreten. Das ist was völlig anderes als Propaganda. Wenn jede unsaubere Form der Meinungsmache Propaganda wäre, dann wäre dieser Blogeintrag es auch. Denn Anekdoten haben keinerlei Beweiskraft sondern dienen nur der Meinungsmache.
    Ich finde in diesem Konflikt die Presse sogar zu verständnisvoll für die russische Seite.

    Wo waren denn die ganzen Mahner als der mediale Feldzug gegen Wulff geführt wurde. Zweifels ohne ist es gut das der Kerl aus dem Amt ist, aber was einseitige Berichterstattung angeht war das noch um Längen stärker als jetzt. Und Wulffs Verfehlungen waren zu jeder Zeit fraglich. Die Verfehlungen Russlands im aktuellen Konflikt sind hingegen Fakt. Hier geht es nicht um die Frage ob welche vorliegen sondern nur in welchen Maße. Zumindest bei der Krim sind die Fakten eindeutig!

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    1. Wenn ich das richtig verstanden habe und sich der Inhalt dieses Kommentars runterkocht zu "alles ist doch irgendwo Propaganda und das haben wir in anderem Zusammenhang doch auch schon gemacht", dann ist das intellektuell nicht so hundertprozentig befriedigend, oder?

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    2. "Die einzige Anforderung besteht darin in irgend einer Form gewalttätig zu unterdrücken."

      Brokdorf, Stuttgart, Heiligendamm, ...

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    3. Welche Fakten sind denn bei der Krim eindeutig? Das OSZE-überwachte, demokratische Wahlen in der Region stattgefunden haben, in denen mit einer großen Mehrheit darüber entschieden wurde, sich vom Rest des Landes loszusagen, welches sich gerade in nicht-demokratischer Weise seines Präsidenten entledigt hatte? Oder dass die ganze oft als "Annexion" bezeichnete Abspaltung und Angliederung an Russland quasi völlig gewaltfrei passierte?

      Ach, immer diese bösen Diktatoren, die sich Ländereien durch völkerrechtslegitimiete Wahlen, ohne Gewalt und gemäß Wunsch der Bevölkerung einverleiben. Mögen sie in der Hölle schmoren!!

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  6. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Wenn jemand mit einem gemeingefährlichen Mittel Menschen töten will und dann auch Menschen tötet, dann ist das auch dann ein Mord (und kein "tragisches Versehen"), wenn es den getöteten Menschen an einer Eigenschaft fehlen sollte, die nach der Vorstellung des Täters die Ofer haben sollen (hier: "Soldat"); der "error in persona" ist rechtlich unbeachtlich. Das Ausmaß, in dem hier wieder einmal die gewaltsame Verschiebung von Grenzen durch den (rechts-) radikalen russischen Diktator oder die Ermordung der Passagiere des abgeschossenen Flugzeugs relativiert wird, ist widerwärtig.

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    1. Also gut, dann liegt der Fehler des Spiegels nicht im Wort "ermordet", sondern im "tragischen Versehen"? Dann einigen wir uns aber darauf, zukünftig alle zivilen Opfer militärischer Konflikte als Mordopfer zu betrachten?

      Was den russischen Präsidenten aber zu einem (rechts-)radikalen Diktator macht und worin genau seine Beteiligung am Abschuss des Flugzeugs liegt, das hätte ich dann für eine rechtlich präzise Bewertung schon gerne irgendwo einmal genauer ausgeführt...

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    2. Wenn wir schon Rosinen picken, dann möchte ich gerne, dass bitte von einem bisher nicht näher geklärten Absturz aus unbekannter Ursache gesprochen wird. Bevor nicht der Bericht der Experten und die Auswertung der Blackbox vorliegen, kann man nicht ausschließen, dass auch ein Absturz durch technische Ursache oder eine Explosion an Bord (Unfall oder Anschlag) zu der Katastrophe geführt haben. Ein Abschuss durch ein anderes Luftfahrzeug (Drohne oder Flugzeug, wessen auch immer) wäre auch zu erwägen. Immer schön präzise und bei den Fakten bleiben.

      Auch ich wundere mich über die behauptete "Rechtsradikalität" eines Vorzeige-Kommunisten des KGB. Und worin genau die Relativierung des Absturzes aus unbekannter Ursache (siehste, ich kann das doch auch) besteht. Ich kreide BTW an, dass wieder in propagandistischer Weise Putin in einem Atemzug mit dem Absturz a.u.U. (man kann das ja auch abkürzen...) genannt wird. Hat was von "cetero censeo", wenn man zwei völlig unabhängige Fakten mit einem Bindewort zusammenfügt.

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  7. Und Ihr Fazit ist genau das selbe, auf dass ich am Ende auch immer komme. Entweder es ist (im weitesten Sinne) "Propaganda" oder Inkompetenz. Beides ist gleichermaßen erschreckend.

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  8. Das Geschehen in der Ostukraine ist kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne, folglich konstituiert die Fehlvorstellung, auf ein Militär- anstatt auf ein Passagierflugzeug zu schießen, nur einen (nach deutschem Recht) unbeachtlichen Irrtum über die Identität der Flugzeuginsassen. Die Bezeichnung Mord könnte daher sogar im rechtstechnischen Sinne zutreffen und trifft in der Alltagsverwendung einer vorsätzlichen ungerechtfertigten Tötung gewiss zu.

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    1. Das finde ich aus zwei Gründen sehr interessant.
      Der erste ist die Begründung selbst - "kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne, folglich konstituiert die Fehlvorstellung, auf ein Militär- anstatt auf ein Passagierflugzeug zu schießen, nur einen (nach deutschem Recht) unbeachtlichen Irrtum über die Identität der Flugzeuginsassen."
      In Afghanistan befindet sich die Bundeswehr auch nicht in einem Krieg im völkerrechtlichen Sinne. Folglich wären doch die Todesfälle infolge der Bombardierung der Tanklaster bei Kundus auf deutschen Befehl hin auch Mord (nach deutschem Recht)? Ich meine mich aber zu erinnern, daß deutsche Gerichte da ziemlich schnell dabei waren, Klagen abzubürsten.

      Der zweite Grund ist die ständige Durchmischung sprachlicher Ebenen. Wenn man die Kriegshandlungen in der Ostukraine so präzise juristisch verstehen will, warum dann nicht auch die angebliche Schuld Putins? Gibt es irgendetwas, das seine Schuld juristisch belegen könnte, oder kommen wir da nicht eher zu einem Freispruch aus Mangel an Beweisen? Und was ist mit der Maidanbewegung selbst? War sie nicht auch eine gewaltbereite Organisation mit Ziel des Sturzes einer demokratisch legitimierten Regierung - und mithin selbst nach deutschem wie ukrainischen Recht illegal? Nur kam das hier nicht so an.
      Es scheint, als suche man sich immer die Argumentationsebene aus, die einem gerade passt, um zu den gewünschten Schlüssen zu kommen. Mal juristisch exakt. mal eher so allgemeinsprachlich verstanden...

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    2. Zum ersten Teil:
      Zunächst einmal übersehen Sie bei ihrem Versuch, eine Analogie zu bilden, dass es sich bei den Kampfhandlungen in der Ukraine um das Vorgehen eines Staates gegen eine innere Bedrohung, mithin um bloße Kriminalitätsbekämpfung handelt. Innerstaatliche Gesetze bilden daher den Maßstab, an dem Handlungen zu messen sind. Ein Rechtfertigungsgrund der Separatisten aufgrund völkerrechtlicher Normen scheidet daher aus. Auch eine Notwehrlage kann ich nicht erkennen.
      Was den Einsatz der Bundeswehr in Kunduz betrifft, so erfolgt dieser im Rahmen der ISAF-Mission. Diese ist mit (bindenden) Mandaten des UN-Sicherheitsrats versehen; die beteiligten Staaten sind ermächtigt, die innere Sicherheit Afghanistans mit den notwendigen Mitteln herzustellen und zu sichern. (Ferner vermute ich, ohne es zu wissen, dass die aktuellen afghanischen Machthaber selbst ihre Zustimmung zum Einsatz der internationalen Truppen gegeben haben.) Angriffe, die auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen, sind nicht unzulässig, der Schaden darf aber nicht außer Verhältnis zum militärischen Nutzen stehen. Im Falle des Tanklasterwagenangriffs kenne ich keine Details, er war aber eben nicht von vornherein rechtswidrig.

      Zum zweiten Teil:
      Den Putin betreffenden Teil wollte ich mit meinem vorigen Post eigentlich gar nicht kommentieren, aber wenn Sie es schon ansprechen: Welche Durchmischung der Sprachebenen meinen Sie? Ich habe angemerkt, dass eine Bezeichnung auch im rechtstechnischen Sinne zutreffend war. Zu folgern und zu fordern, Berichterstattung dürfe nur noch im juristischen Jargon erfolgen und Gedankenfindung- und gang müssten gleichsam die Strukturen eines strafrechtlichen Prozesses spiegeln, ist abwegig. Wenn Putin also die Separatisten unterstützt und ihren (verglichen mit ihrer Machtbasis) relativ erfolgreichen militärischen Feldzug ermöglicht hat, darf meines Erachtens durchaus auf seine mindestens moralische Schuld hingewiesen werden.
      Im Übrigen scheint mir die negativ konnotierte Bezeichnung Regime durchaus treffend für eine Führungsriege, die Legalität beanspruchen kann, aber durch ihre Untaten gegen die eigene Bevölkerung ihr politisches Kapital, die Grundlage ihrer Legitimität, vernichtet hat.
      Zum letzten Punkt: Ich weiß nicht, wie weit der Schutz der Versammlungsfreiheit in der Ukraine ging, aber zu beiderseitigen Ausschreitungen kam es erst, nachdem die Sicherheitskräfte mit äußerster Härte gegen die Versammelten vorzugehen begannen. Nein, die Bewegung war keine Organisation, nein, sie war nicht gewaltbereit, "die" Maidanbewegung gab es schlicht nicht, es handelte sich um eine amorphe Menge mit disparaten Zielen.

      Inzidente Debatten zu Sachfragen und Feinbetrachtungen sind meines Erachtens unumgänglich, um festzustellen, ob Berichterstattung tendenziös ist - oder nicht vielleicht doch die Ereignisse zuweilen genau so sind, wie es Vorurteile vermuten ließen.

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    3. Nun, bezüglich der Rebellen in der Ostukraine sagten Sie:
      "Innerstaatliche Gesetze bilden daher den Maßstab, an dem Handlungen zu messen sind. Ein Rechtfertigungsgrund der Separatisten aufgrund völkerrechtlicher Normen scheidet daher aus. Auch eine Notwehrlage kann ich nicht erkennen."
      und bezüglich der Verantwortung Putins:
      "[…], darf meines Erachtens durchaus auf seine mindestens moralische Schuld hingewiesen werden."
      Das sind meines Erachtens nach zwei unterschiedliche Maßstäbe. Einmal wird "Schuld" nach juristischen Kriterien beurteilt, dann wieder in einem moralischen Sinne. Und daß juristische und moralische Schuld zwei durchaus verschiedene Dinge sein können, da sind wir uns doch vermutlich einig?

      Was die Bezeichnung "Regime" angeht, wird dann aber wieder eine moralische Kategorie bemüht, oder? Denn was sind denn die "Untaten" gegen die eigene Bevölkerung? Wenn "Untaten" gleichbedeutend mit "Verbrechen" im juristischen Sinne und gemessen an innerstaatlichen Gesetzen sind, dann wüsste ich doch gerne mal, wo die Regierung unter Janukowitsch (nachweislich) rechtswidrig gehandelt hat. Denn die Räumung von Barrikaden durch die Polizei, auch gewaltsam, ist doch kaum ein Verbrechen? (Ich kenne die ukrainische Rechtslage natürlich auch nicht im Detail, aber in Deutschland wäre dies doch kein juristisches Problem.) Und wenn Demonstranten sich gewaltsam gegen die Räumung der Barrikaden zur Wehr setzten (Bilder von bewaffneten Demonstranten auf dem Maidan und Molotowcocktail-Würfe auf die Polizei muß ich wohl nicht extra raussuchen?), ist das dann rein technisch gesehen nicht Widerstand gegen die Polizeigewalt und (zumindest in Deutschland) selber eine Straftat?

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    4. Zunächst einmal: Wenn Scharfschützen- ob gezielt oder wahllos- in eine überwiegend friedliche Menschenmenge schießen, ist das meines Erachtens evident unverhältnismäßig und rechtswidrig und die Bezeichnung als Untat angemessen.
      Zum Übrigen: Nein, ich sehe keine grundsätzliche Verschiedenheit von juristischer und moralischer Schuld. Vielmehr halte ich moralische Erwägungen für für die Bildung des juristischen Begriffs der Schuld maßgeblich. Mit meinem ersten Post wollte ich ja gerade sagen, dass im Flugzeugabschussbeispiel keine Diskrepanz zwischen Alltags-/moralischen und juristischen Begriffen vorlag.
      Den Hinweis auf Putins lediglich "mindestens moralische Schuld" kann ich nur mit meiner Unwissenheit über genaue Kausalverläufe und mit der relativ geringen Druchsetzungsfähigkeit und Regelungsdichte des Völkerrechts verteidigen. Das Konflikte schürende und katalysierende Verhalten Russlands in und bezüglich der Ostukraine (Truppensammlung an der ukrainischen Grenze, Versorgung ukrainischer Rebellen mit Waffen und anderer Ausrüstung, vermutlich der Einsatz eigener Soldaten auf der Seite der Rebellen) rechne ich jedenfalls Putin zu.
      Mir scheint, Sie legen zugrunde, juristische Begriffe seien steril und wertungsfrei. Das führt auch zu Ihrer Wahrnehmung, es gäbe zwei Sprachebenen. Sollte es so sein, müsste ich widersprechen: Korrekt verwendete juristische Begriffe sind in der Alltagssprache oft anschlussfähig, gerade weil ihnen moralische (oder in anderen Gebieten als dem Strafrecht ökonomische oder biologische oder andere sachnahe Erwägungen und) Wertungen zugrunde liegen. Umgekehrt gilt dies freilich nicht.

      PS Das ist mein letzter Post, da mir die Entzifferung der Captchas ernste Mühe bereitet.

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    5. Ich bin ja immer für ein Ende von Onlinediskussionen zu haben. Zumal wir hier wohl so grundsätzliche Differenzen gefunden haben, daß wir sie nicht werden überbrücken können.

      Anmerken muß ich allerdings noch, daß das Beispiel der in eine Menschenmenge feuernden Scharfschützen sehr schlecht gewählt ist. Nicht nur, weil die Untersuchung der Hintergründe alles andere als befriedigend ist. Sondern auch, weil diese Vorfälle am 19. und 20. Februar fast drei Wochen später stattfanden als das im Post erwähnte Beispiel der Bezeichnung "Regime".
      Nicht, daß wir uns neben dem Verhältnis von justistischer und moralischer Schuld am Ende auch noch über die Frage streiten müssten, inwieweit man die Vergangenheit mit der Zukunft rechtfertigen darf! ;)

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    6. "Die Bezeichnung Mord könnte daher sogar im rechtstechnischen Sinne zutreffen ..."

      Oder es war eine Verteidigung des eigenen Luftraums durch der (vormaligen) Regierung nach wie vor ergebene Truppen. Nach welchem Recht soll in einem Bürgerkrieg denn geurteilt werden, wenn jede Seite der Meinung ist, die legale Streitmacht zu sein? Sind jetzt alle Soldaten auf einer Seite Mörder, die anderen aber nicht? Jedenfalls ist das gerade nicht die übliche Diktion, mit der Bürgerkriegszustände beschrieben werden.

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